Tobias Ruland:
Die Psychologie der Intimität

 

Intimität in Beziehungen ist schwierig, aber warum? Paartherapeut Tobias Ruland hat die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst: die Beziehungskiller verhindern, die 9 wichtigen Bausteine zusammensetzen und dann in 6 Stufen zur echten Intimität.

Nach dem amerikanischen Paartherapeuten John Gottman verhindern vier Beziehungskiller die Intimität in Beziehungen: Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern. Sind alle 4 destruktiven Verhaltensweisen in einer Beziehung vorhanden, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass das Paar sich trennt, nach den Studien von Gottman 82 Prozent. Allen 4 apokalyptischen Reitern gemeinsam ist die Machtausübung in einer aus den Fugen geratenen Hierarchie, wo es keine Kooperation und kein Team mehr gibt.

Was kann ein Paar tun, um sich nicht mehr mit den 4 apokalyptischen Reitern rumzuschlagen, sondern Intimität zu erleben, einen Zustand tiefster Vertrautheit im emotionalen und körperlichen Bereich und was ist  überhaupt Intimität? In seinem Buch „Die Psychologie der Intimität“ hat der Paartherapeut Tobias Ruland diese Frage wie folgt beantwortet:

Intimität ist das subjektive, einseitige Gefühl der Selbsterfahrung und Selbstoffenbarung in Gegenwart eines anderen Menschen. Diese Selbstoffenbarung ist dann vom anderen wahrnehmbar, wenn sie offen, nicht absichtlich verfälscht oder verstellt und damit authentisch ist. Die Selbsterfahrung der Wahrnehmung der eigenen Gefühle und die Auseinandersetzung mit sich selbst ist die notwendige Vorbedingung, um sich authentisch offenbaren und damit erleben zu können.“

Intimität ist zunächst also ein subjektives Gefühl und kann auch zunächst nur einseitig entstehen. Intimität bedeutet, dass sich ein Mensch in Gegenwart eines anderen selbst versteht und offenbart. Intimität bedeutet, durch das, was man tut oder sagt, sich selbst, sein Innerstes, seine eigenen innersten Gefühle und Gedanken wahrhaftig nach außen zu tragen und sich selbst bei dieser Preisgabe zu erleben. Intimität heißt, sich selbst in Gegenwart eines anderen zu erleben und kennenzulernen. Erwidert der andere die Intimität mit eigenen intimen Gedanken und Gefühlen, werden Momente der Begegnung geschaffen, in denen Nähe entstehen kann.

Um eine Beziehung erfolgreich zu gestalten, sind laut Tobias Ruland 9 Bausteine nötig: Die wichtigsten darunter sind:

Selbstbestätigte Intimität

Der erste Baustein erfolgreicher Intimität ist die „selbstbestätigte Intimität“. Beide Partner müssen die Fähigkeit entwickeln, ihre innersten Gedanken und Gefühle auch dann preiszugeben, wenn sie nicht damit rechnen können, dass diese Offenbarungen auf Wohlwollen stoßen. Ohne eine ausgeprägte Fähigkeit zu selbstbestätigter Intimität ist die notwendige Problemlösungskompetenz für eine intime Paarbeziehung nicht zu erreichen. Wird diese Fähigkeit im Lauf des Lebens nicht entwickelt, hat das drei Konsequenzen: 1. Fremde Offenbarung bereitet großes Unbehagen und führt zu abweisenden Reaktionen. 2. Ich muss die Ungewissheit ertragen, ob ich für das geliebt werde, wer ich bin. 3. Die Partner sind auf Raten und Telepathie angewiesen, um die Bedürfnisse des Partners zu berücksichtigen. Die Erfolgsquote dieser Methode ist beschränkt. Mit der Fähigkeit zu selbstbestätigter Intimität wächst die Fähigkeit, kollaborative Allianzen aufzubauen.

Kollaborative Allianz aufbauen und pflegen

Der zweite Baustein erfolgreicher Intimität ist die „kollaborative Allianz“. In der kollaborativen Allianz steht das Team, die Beziehung im Mittelpunkt des beiderseitigen Interesses und nicht wie in der kollusiven Allianz das jeweils eigene Bedürfnis oder die Bereitschaft, dem Partner ein gutes Gefühl zu vermitteln. Tauchen Konflikte auf, stellt sich die gemeinsame Frage „Was machen wir mit diesem Problem?“ Diese Frage beinhaltet alles, was eine kollaborative Allianz braucht, nämlich den Ausdruck von Problembewusstsein, die Aufforderung, das Problem nicht zu lange ungelöst zu lassen und das Angebot zur gemeinsamen Lösung. Beide Partner einigen sich auf ein langfristiges Ziel, dass von beiden getragen werden muss und sind bereit, gemeinsam alle Höhen und Tiefen des Beziehungslebens zu durchleben.

Selbstberuhigung

Der zentrale Baustein erfolgreicher Intimität ist die „Selbstberuhigung“. Die Fähigkeit zur Selbstberuhigung ist die bedeutsamste Fähigkeit, um konstruktive, kooperative und gute zwischenmenschliche Beziehungen zu führen. Von der Fähigkeit zur Selbstberuhigung hängt die Fähigkeit zu selbstbestätigter Intimität und das Eingehen von kollaborativen Allianzen ab. Da viele Menschen unter einem Beziehungstrauma leiden, dass chronischen Stress produziert und jede Menge Explosionsstoff durch Beziehungs-Trigger bietet, macht es wirklich Sinn, die Selbstberuhigung zu trainieren wie einen Muskel. Geeignet sind dafür autogenes Training, progressive Muskelrelaxion, Selbsthypnose, Yoga, Meditation, Gebet und körperlicher Kontakt über Augen, Hände und ganzer Körper. Je mehr Beziehungsstress noch im Körper ist, desto mehr eignen sich dynamische Meditationen wie die Geh-Meditation, Tanz-Meditationen oder die Kundalini-Meditation von Osho.

Die Stufen der Intimität

Am Schluss beschreibt der Autor die sechs Stufen der Intimität nach Professor Donald L. Mosher, der in den 1980er Jahren einen für die Sexualforschung wegweisenden Artikel veröffentlicht hat, in dem er beschrieb, welche unterschiedlichen Tiefen Menschen in einer sexuellen Begegnung erreichen können. Dabei definierte Mosher die erste Stufe als geringste Form erreichter Intimität und die sechste Stufe als die höchste bekannte Form der intimen Vereinigung zweier Menschen.

Tobias Ruland: Die Psychologie der Intimität: Was Liebe und Sexualität miteinander zu tun haben, Clett-Kotta 2015, 268 Seiten, 16,95 €

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