Stefanie Stahl: Leben kann auch einfach sein
Nach den Themen »Erkenne dich selbst« und »Beziehungsangst« nimmt sich Psychotherapeutin Stefanie Stahl das Urthema aller Menschen vor, nämlich das Selbstwertgefühl, das ja bekanntlich bei den meisten Menschen nicht in ausreichender Form (Minderwertigkeitskomplex) oder in kompensatorischer Form (Narzissmus) vorhanden ist. Auf beide Formen geht die Autorin ausführlich ein.
Nachdem ich die beiden Bücher der Psychotherapeutin Stefanie Stahl »So bin ich eben« und »Jein« mit Gewinn gelesen hatte, war ich auf das dritte Buch zu einem anderen populärpsychologischen Thema gespannt und wurde – bis auf eine kleine Ausnahme – kein bisschen enttäuscht.
Nun gibt es ja schon eine ganze Menge Ratgeberliteratur zu diesem Thema, und immer noch gibt es sehr viele Menschen, die mit ihrem Gefühl des eigenen Wertes ihre Schwierigkeiten haben. Wird sich nach der Lektüre des Buches daran was ändern? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Autorin sich sehr viel Mühe gegeben hat, das Thema so anschaulich, verständlich und umfassend wie möglich darzustellen. Sehr gefallen hat mir die übersichtliche Gliederung des Themas in die drei Bereiche »Wie wirkt sich ein geringes Selbstwertgefühl im Alltag aus?«, »Woher kommt dieses Gefühl?« und natürlich »Was kann ich machen, damit ich da raus komme?«.
Die Strategien zum Aussteigen aus der Selbstabwertungsspirale nehmen zu Recht den breitesten Raum ein und werden sinnvoll in die Bereiche »Kommunikation«, »Handeln« und »Fühlen« unterteilt. Sehr richtig weist die Autorin darauf hin, dass am Anfang aller Veränderungsprozesse zunächst mal die Selbstannahme steht: »Was Selbstunsichere in der Regel am meisten ablehnen, ist, dass sie selbstunsicher sind. Ich habe in meinen psychotherapeutischen Gesprächen schon oft festgestellt, dass das Akzeptieren der eigenen Unsicherheit ein wichtiger Schritt für die Selbstheilung ist.« Das kann nicht oft genug gesagt werden, denn die Paradoxie der Veränderung besagt ja, dass eine Veränderung garantiert nicht eintritt, wenn man sich unbedingt verändern will.
Natürlich geht Stefanie Stahl auch auf die therapeutischen Klassiker wie die Auseinandersetzung mit dem »inneren Kind« und dem »inneren Kritiker« ein. So kenntnisreich und praxisnah sich die Autorin über weite Strecken des Buches präsentiert, der Abschnitt über die Arbeit mit dem »inneren Kritiker« ist wenig hilfreich. Hier widerspricht sich die Autorin selbst, denn es hilft gerade nicht, den inneren Kritiker loswerden und vertreiben zu wollen mit harschen Worten, dass macht ihn höchstens noch aggressiver und wütender. Auch bei der Arbeit mit Schattenanteilen gilt erstmal: Selbstannahme, denn auch der Schatten ist ein Teil von dir und will gehört werden. Die drei Seiten zu »Verbieten Sie Ihrem inneren Kritiker den Mund« können sie getrost überspringen, alle übrigen 269 Seiten lesen sich leicht, bieten viele anregende Übungen und viele Momente der Selbsterkenntnis.